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Interviews

Zwischen Stadt und Land – die Zukunft unserer Metropolen

Als Thomas Sievert vor zehn Jahren Zwischenstadt, zwichen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land, veröffentlicht hat, tat er dies in der Absicht, den städtischen Charakter einer im Entstehen befindlichen Realität zu erfassen, die Wirklichkeit der « Zwischenstadt ». Er kommt hier auf den Begriff die « Zwischenstadt » zurück und wirft die Frage nach seiner Gültigkeit in Hinsicht auf die Entwicklung der neu entstehenden urbanen Gebieten auf.

Métropolitiques : Vor ungefähr 10 Jahren haben Sie ein Epoche machendes Werk veröffentlicht, in dem Sie ein Konzept vorschlagen, das die neuen Formen der zeitgenössischen Städteplanung verständlich und zugänglich machen soll : Zwischenstadt, zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land. Was verstehen Sie unter "Zwischenstadt" ? – ein Wort, dessen Bedeutung in der französischen Übersetzung "entreville" nicht vollständig erfasst wird. Könnten Sie bitte dieses Konzept kurz neu definieren. Unterscheidet es sich von anderen Konzepten, wie z.B. "diffuse Stadt", das von Bernardo Secchi vorgeschlagen wird ?

Thomas Sieverts : Ich habe seinerzeit den Begriff ‚Zwischenstadt’ – wie im Untertitel gekennzeichnet – mehrdimensional angelegt : Räumlich in der Bedeutung der Durchdringung von Gebautem und offener Landschaft, ökonomisch in der Bedeutung zwischen der örtlich fundierten Wirtschaft und der weltweit operierender Ökonomie und historisch in der Bedeutung eines Zwischenzustands der noch so jungen, nur wenige Jahrzehnte alten Stadtform auf dem Wege zu einer neuen Stadtform, die wir noch nicht kennen können. Vieles spricht dafür, das wir – nach der ersten urbanen Umwälzung von der agrarischen zur Industriestadt auf der Energiebasis von Kohle (Erste Moderne) und nach der zweiten urbanen Umwälzung von der Industriestadt zur Stadt der Dienstleistungen und des Konsums auf der Basis von Erdöl/Erdgas (Zweite Moderne) gegenwärtig an der Schwelle zu einer dritten Umwälzung zu einer Dritten Moderne auf der Basis von Sonnenenergie in vielfältigen Formen stehen, die noch im Nebel der Zukunft liegt.

Métropolitiques : Bereits im ersten Kapitel stellen Sie die "Zwischenstadt" auf den Rang eines "internationalen Phänomens", ein wenig in der Art von Rem Koolhaas, der, die moderne Städteplanung betreffend, von einer "ville générique" spricht. Er versucht, die gemeinsamen Merkmale zu identifizieren – er geht sogar so weit, dass er manchmal die Eigenständigkeit und den lokalen/nationalen Kontext ausser Acht lässt. Wodurch und bis zu welchem Punkt kann der Begriff "Zwischenstadt" nicht-europaïsche, nicht-westliche oder gar die nicht-deutsche Realität übermitteln ? Nimmt die städtebauliche Entwicklung des Ruhrgebietes z.B. nicht absolut spezifische Formen an ? Wie stehen Ihrer Meinung nach das Allgemeingültige und das Spezifische zueinander ? Handelt es sich, wie Sie es in Ihrem Buch andeuten, nur um eine Frage des Maβstabs die Ähnlichkeiten zwischen den "Zwischenstädten" wie sie sich gegenseitig in makroskopischem Maβstab sehen – um Unterschiede in einem kleineren Maβstab ?

Thomas Sieverts : Die Verallgemeinerung des Phänomens Zwischenstadt im globalen Maßstab findet eine anschauliche Begründung in der Forschungsarbeit von Klaus Humpert u. a. „Fundamental Principles of Urban Growth“ (Wuppertal 2002) : Der Vergleich von sechzig Großstädten auf der ganzen Welt im Maßstab 1:500.000 zeigt ähnliche fraktale Siedlungsmuster, in dem kaum ein Punkt der besiedelten Fläche weiter als 2-4 km vom offenem Land entfernt ist. Für diese weltweite ungeplante, aus ungezählten Einzelentscheidungen emergierende Stadtform gibt es eine plausible Begründung : Unzählige Haushalte und kleinere Betriebe versuchen bei ihrer Standortwahl - jeweils im Rahmen ihres Budgets – drei konfligierende Ziele miteinander in Einklang zu bringen : Die Nähe zur Natur, die kurzen Wege zu täglichen Bedarf (Waren, Schulen, Ärzte etc.) und die Anknüpfung an die regionalen Verkehrsnetze für die Nutzung des regionalen Arbeits- und Absatzmarktes. Aus diesen komplexen Entscheidungen emergiert die typische fraktale Form der Zwischenstädte. Diese weltweite Ähnlichkeit gilt jedoch nur in den großen Maßstäben der Gesamtstruktur. Je näher man in diese fraktalen Siedlungsmuster ‚hinein zoomt’, desto weniger lässt sich das, was man sieht und erlebt, verallgemeinern. Dann zeigen sich die Zwischenstädte als genauso unverwechselbar und individuell wie die uns vertrauten historischen Städte auch. Wir sind nur nicht gewohnt, so genau, aufmerksam und zugewandt hinzuschauen und die Zwischenstadt mit allen Sinnen zu erleben, wie wir uns das in der Alten Stadt angewöhnt haben. Wenn wir das unter sorgfältiger und mit der Historie der Zwischenstadt vertrauten Anleitung tun, wie das z. B. der Künstler Boris Sieverts auf seinen Stadtwanderungen tut, dann entdecken wir einen großen Reichtum an jüngerer Geschichte und an Spuren des gelebten Lebens, die eine eigene Ästhetik entfalten, aber auch eine reichhaltige, artenreiche Natur.

Métropolitiques : Wie Kevin Lynch in den 60er Jahren, scheinen Sie der Frage, wie die "Zwischenstadt" verstanden werden kann und wie man sie sich verbildlichen kann, einen wichtigen Platz zuzuordnen. Inwieweit ist diese Dimension wichtig und in welchem Masse ist sie relevant für die Kompetenz des Architekten oder des Urbanisten (Städtebauers) ? Wie kann man die Repräsentation dieser ’Stadt im Werden’ verbessern ohne sie in ein Modell zu zwingen, wie z.B. das Modell eigener historischen Stadt ? Hat sich außerdem die "Zwischenstadt" während der vergangenen 10 Jahre verändert ? Ist sie ’urbaner’ geworden oder bleibt sie weiterhin nur schwer zugänglich ?

Thomas Sieverts : An vielen Stellen ist die Zwischenstadt im letzten Jahrzehnt urbaner geworden, ihre alte Abhängigkeit von der historischen Mutterstadt ist einer Wechselwirkung gewichen : Die vielen neuen, meist funktional spezialisierten Zentren (z. B. für Einkaufen, Forschung, Lehre, Krankenversorgung und Verwaltungen von z. T. globaler Dimension etc.) haben eine stadtregionale Bedeutung, unter Einschluss der alten Mutterstädte. Ihre weitere Qualifizierung muss sich – ebenso wie in der Alten Stadt – an den historischen Spuren, an den neuen Funktionen und an den spezifischen, landschaftlichen Merkmalen ausrichten. Die Landschaft mit ihrer Topographie und ihren Wasserflächen wird der Zwischenstadt ihre Unverwechselbarkeit geben. Alle Qualifizierungsmaßnahmen sollten auch zu einer besseren Lesbarkeit und Orientierbarkeit betragen, im Sinne einer ortspezifischen Spezialisierung. Lesbarkeit mit dem Ziel des Aufbaus innerer Bilder und Orientierungsgerüste ist eine Voraussetzung für geistige Verfügbarkeit und damit auch eine für die Zwischenstadt spezifische Schönheit, als eine unverzichtbare Bedingung für Zuwendung, Sorge und Verantwortlichkeit.

Métropolitiques : Die Frage nach der ’Natur’ hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und die Städteplanung versucht die Wichtigkeit des Umweltbewusstseins zu integrieren. Viel mehr als die historische Stadt ist die "Zwischenstadt" mit diesem Problem konfrontiert, da sie in gleichem Masse aus der Ausdehnung am Stadtrand und den ’Resten’ der Natur (Bauland, Wälder, ...) entstanden ist. Welchen neuen Status bekommen diese Elemente, wenn sie in die Stadt mit einbezogen werden ? Wie geht man mit der ihnen eigenen Logik um ? Wie weit kann die Koexistenz zwischen städtischer Lebensform und ländlichem Brauch gehen ?

Thomas Sieverts : Mehrere Jahrzehnte stadtökologischer Forschung haben aufgezeigt, dass die Stadtlandschaft der Zwischenstadt viel artenreicher ist, als die umgebende, meist industrialisierte Landwirtschaft. Das gilt auch für das Vorkommen seltener Arten, besonders bei Vögeln. Der Artenreichtum ist dann am Größten, wenn bebaute und offene Flächen in einem Gleichgewicht stehen. Ausschlaggebend ist auch die Randlänge zwischen besiedelter und offener Fläche, die bei den fraktalen Formen der Gesamtstadt ohnehin maximiert ist. In Mitteleuropa wird bei stagnierender oder gar schrumpfender Einwohnerzahl die Stadtentwicklung der Zukunft viel stärker als bisher über die Sicherung und Gestaltung der mit der Siedlungsfläche so fein verwobenen Freiflächen laufen. Es ist auch durchaus gut vorstellbar, das auch die Architektur selbst zum Teil zu einem ‚Stück Natur’ mit reichhaltigen Biotopangeboten werden wird : Der alte Gegensatz vom ‚bösen Bauen’ und der ‚guten Natur’, der kategorische Kontrast von Stadt und natürlicher Landschaft beginnt sich aufzulösen, verstärkt durch die Nutzung der Freiflächen für eine örtliche Produktion von Nahrungsmitteln und energiereicher Biomasse.

Métropolitiques : Sie üben gleichzeitig den Beruf eines Forschers und den eines Architekten aus. In Ihrem Buch sprechen Sie als Forscher und schlagen eine Leseart und eine Interpretation der "Zwischenstadt" vor – aber auf der anderen Seite veränden Sie praktisch als Architekt diese ’Stadt im Werden’. Wie können diese zwei Aktivitäten zusammenwirken ? Besteht keine Ambiguität zwischen der von der Forschung erforderten distanzierten analytischen Dimension und der schöpferischen Dimension, die die praktische Ausführung verlangt ? Wie verhalten sich Forschung und Projekt zueinander ?

Thomas Sieverts : Systematische Analyse und schöpferischer Entwurf sind keine sich ausschließenden Gegensätze, im Gegenteil, ein tiefes Verständnis der zu qualifizierenden Situation im Sinne einer Deutung, die natur- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse ebenso einschließt wie das Arbeiten mit Metaphern und die sinnliche Erfassung mit allen Sinnen, ist der erste und vielleicht wichtigste Entwurfsschritt, denn nur auf diese Weise entstehen ortspezifische Lösungen, die den Genius Loci zum Leben erwecken.

Métropolitiques : Die Debatte um "Gross Paris" – das Problem der Ausdehnung der Metropole – hat in der Bevölkerung viel Aufmerksamkeit erweckt. Entsprechen die geplanten Strukturen Ihrer Analyse der "Zwischenstadt" ? Wie verstehen Sie die 10 Projekten, die vorgelegt wurden ? Und welches Projekt entspricht am besten der Vorstellung einer städtischen Gesamtplanung ? Wie sehen Sie von Deutschland aus den Städtebau in Frankreich ?

Thomas Sieverts : Das Projekt ‚Grand Paris’ war ein großartiges Denk- und Entwurfs-Versuchsfeld, die heterogene Stadtregion um die historische Kernstadt herum mit 10 Mio. Einwohnern zu lesen, zu deuten und im Sinne der Qualifizierung zu interpretieren. Mir haben die Projekte am besten gefallen, die sich zuwendend, aus Sorge und Verantwortung mit dem Bestand beschäftigt haben, ohne eine Superstruktur darüber zu stülpen, wie z. B. das Projekt von Finn Geipel und seiner Mannschaft.

Métropolitiques : Sie wurden zum Präsidenten von Europan gewählt – einem großen Wettbewerb für junge europäische Architekten. Welches große städtebauliche Konzept soll hier auf dem Spiel stehen ?

Thomas Sieverts : Europan hat sich in den letzten Jahren zunehmend mit suburbanen Gebieten beschäftigt und in diesem Rahmen Probleme z. B. des Verhältnisses des Globalen zum Lokalen, der Stadt zur Natur, sowie von Konkurrenz zur Kooperation zur Aufgabe gestellt. Vielleicht hat man mich dieser Themen wegen gefragt, ob ich mich zum Präsidenten wählen lassen würde. Ich bin auf die Beiträge der jungen Kollegen zu diesem Aufgabenfeld sehr gespannt.

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Pour citer cet article :

Stéphane Bonzani & Stéphane Füzesséry & Thomas Sieverts, “Zwischen Stadt und Land – die Zukunft unserer Metropolen”, Métropolitiques, 16 mars 2011. URL : https://metropolitics.org/https:/metropolitics.org/Zwischen-Stadt-und-Land-die.html

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